Interview mit Carsten Janker

„Rapid ist der Anfang von allem gewesen!“
Carsten Jancker wurde am 28. August 1974 in Grevesmühlen in der DDR geboren. 21 Jahre später startete der stürmische Koloss in Hütteldorf durch, denn seine insgesamt 16 Tore waren Hauptbestandteile der 30. Meisterschaft Rapids und des sensationellen Vordringens in das Europacup-Finale 1996. In Brüssel holte der 193cm große Angreifer zwar nicht die Schüssel, dafür aber den Champions League-Pot nach München, wohin Jancker nach seiner Erfolgs-Saison im grünweißen Gewand wechselte. Bei den Bayern küsste Jancker seinen Ehering 48 Mal, gewann vier Meisterschaften, zwei Cup-Titel und nach dem CL-Final-Trauma von 1999 auch den höchsten Titel im europäischen Klubfußball (2001). Die Wahnsinns-Karriere Janckers erhielt danach bei Udinese Calcio, dem 1. FC Kaiserslautern und Shanghai Shenhua (insgesamt sechs Tore in 77 Spielen) einige Schrammen, ehe der „Turban-Bomber“ in Mattersburg seine Treffsicherheit (21 Tore in 76 Spielen) wiederfand. Heuer wurde der deutsche Weltpokalsieger, der im DFB-Team in 33 Einsätzen zehnmal jubeln konnte und zum Vize-Weltmeister avancierte, von den Dorf-Chefitäten für zu alt zum Toreschießen befunden. Carsten Jancker ist aber nicht zu alt, um ab der kommenden Saison die U15 Rapids mitauszubilden.
Ich treffe die einstige Kurzzeit-Größe Rapids am Neusiedler See im
Café-Restaurant Mole West. Der zweifache Familien-Vater wird im Lokal
sofort von Gästen erkannt. Kein Wunder bei der Statur und dem markanten
Aussehen... außerdem ist Neusiedl ja auch ein Zündholzschachterl, wenn die Welt
ein Dorf ist!
Carsten Jancker hat sich im Burgenland gut eingelebt. Beim
Interview kann er die angeborene deutsche Präzision mit seinen exakten Antworten
aber nicht verheimlichen. Auf Wikipedia kursiert folgender
Jancker-Witz: Carsten Jancker steht vor dem Himmelstor. Macht Petrus auf und
sagt: "Mensch, Jancker, wie hast du denn das Tor gefunden?" Auf seine gesamte
Karriere kann dieser Ausflug ins Schelmentum aber nicht übertragen werden. Denn
seit „Popeye“ am 22. Oktober 1995 beim Spiel gegen den GAK in der 55. Minute
eingewechselt wurde und 15 Minuten später zum siegbringenden 2:1 traf, ja
seither hat der Vollblut-Angreifer das Tor noch ganz schön oft getroffen. Gell,
Petrus!
Die Gespräche sind schon länger gelaufen, weil ich ja wusste, dass spätestens im Sommer Schluss ist. Vor einem dreiviertel Jahr habe ich mit Ali Hörtnagl zum ersten Mal besprochen, ob Interesse von Seiten Rapids besteht. Vor vier, fünf Monaten haben wir uns dann wiedergesehen und einen Termin ausgemacht, bei dem ich meine Vorstellungen präsentiert habe. Ich bin jetzt in Neusiedl zuhause und will nicht mehr großartig herumreisen. Mein Wunsch, junge Spieler zu trainieren, sie für den Weg nach oben vorzubereiten und meine Erfahrungen an sie weiterzugeben, hat offenbar Anklang gefunden
Stimmt es eigentlich, dass Du fast anstatt Stefan Maierhofer bei
Rapid gelandet wärst?
Es sind Gespräche gelaufen, aber es ist nichts
zustande gekommen. Stefan hat ja in der Schlussphase der Saison 2007/08 einen
großen Anteil am Gewinn des Meistertitels gehabt. Am Geld oder der Vertragslänge
ist es nicht gescheitert, sondern an der Verpflichtung von Stefan Maierhofer.
Zurück zu Deiner Tätigkeit ab der kommenden Saison. Was sind Deine
genauen Aufgaben im Nachwuchs?
Ich gehöre zum Trainerstab der U15.
Die Aufgabe ist natürlich, Spieler auszubilden und an die Kampfmannschaft
heranzuführen.
Kann man Jung-Angreifern Torinstinkt lernen oder muss man den
„eingebaut“ haben?
Es geht eher um die Schulung der technischen
Fertigkeiten und das Verrhalten der Spieler. Den Torinstinkt muss ein Spieler
schon von alleine haben.
Wie wichtig ist Deiner Meinung nach die Arbeit mit
Talenten?
Das kommt vor allem auf die Zielsetzungen des Vereins an.
Nicht jeder Klub hat Unsummen Geld. Insofern muss ein Verein wie Rapid
versuchen, junge Spieler an den Profibetrieb heranzuführen und sie irgendwann
gewinnbringend zu verkaufen.
Mit elf Jahren bist Du von Deinem Heimatverein Wismar zu Hansa
Rostock gewechselt. War da schon klar, dass aus Dir ein Stürmer
wird?
Ich habe immer vorne gespielt. So gesehen war ich ein Leben
lang Stürmer. Ich bin auf das Internat in Rostock gegangen, weil ich es
unbedingt schaffen wollte. Da gab es einen Aufnahme-Test, den ich bestehen
musste, bevor ich nach Rostock gehen konnte. Ich hatte ein klares Ziel vor
Augen, weshalb der Abstand zum Elternhaus nicht so schlimm war. Aber es gab
schon einen schwierigen Tagesablauf, wo man um sechs Uhr aufstehen musste. Ich
bin um halb sieben nachhause gekommen, und konnte erst dann die Hausaufgaben
machen. Aber ich wollte das unbedingt machen und habe mich dafür entschieden –
deswegen war es auch okay.
Deine Mutter war eine erfolgreiche Handballspielerin. Wie war es
eigentlich damals in der DDR in puncto Sport – Paradies, Zwang, eine Mischung
von beidem oder ganz anders?
Zwang war gar nicht da! Man wurde mehr
gefördert, wahrscheinlich, weil man zeigen wollte, dass der Sozialismus den
besseren Sport herausbringt. Ein Paradies war es nicht, aber ich konnte immerhin
mein Hobby täglich ausüben. Fußball stand in der Sport-Hierarchie der ehemaligen
DDR sicher nicht an erster Stelle, aber nach dem Kindergarten und der Schule
habe ich immer schon gekickt. Als ich sechs Jahre alt war, hat mich meine Mutter
beim Verein angemeldet. Dabei bin ich dann auch geblieben, obwohl ich auch
Volleyball und Handball gespielt und Leichtathletik betrieben habe. Fußball hat
mir aber am meisten getaugt.
Wer war in der Jugend Dein Traumverein, Dein Idol?
Der AC
Mailand war damals mein absolut liebster Verein, Marco van Basten und Ruud
Gullit waren meine Vorbilder.
Wie hast Du den Mauerfall miterlebt?
Ich war 15 Jahre alt
und gerade wegen einem Länderspiel in Bulgarien. Als ich zurückkehrte, kam meine
Mutter zu mir und fragte mich, ob wir zu meinem Onkel fahren wollen, weil die
Grenzen offen seien. Das war schon sehr überraschend, aber natürlich eine tolle
Sache!
1991 bist Du nach Köln gewechselt.
Zuerst wollte ich noch
unbedingt meinen Schulabschluss machen. Vorher wollte ich nicht aus Rostock
weggehen.
Bei Deinem Liga-Debüt gegen Leipzig im September 1993 hast Du gleich
den Endstand zum 3:1-Sieg Kölns fixiert. Warum geriet Deine Karriere bei den
„Geißböcken“ nach diesem genialen Einstand ins Stocken?
Das Debüt
war top, aber dann ist es gar nicht mehr gut gelaufen. Mein Trainer Morten Olsen
hat mich einfach nicht mehr berücksichtigt. Beim nächsten Auswärtsspiel nach
diesem Tor hat er mich gleich zuhause gelassen, obwohl er auf der Bank keinen
Stürmer mehr hatte! Die nächsten knapp zwei Saisonen hat er mich dann spüren
lassen, dass ich nicht auf seine Unterstützung zählen kann. Ich würde im
Nachhinein ehrlich sagen, wenn ich schlecht gewesen wäre. Aber so war es nicht!
Ich kann mich noch genau erinnern – der Toni Polster hatte gerade eine rote
Karte und acht Spiele Sperre bekommen und es herrschte akuter Stürmer-Mangel.
Trotz alledem hat er mich nicht mehr berücksichtigt, was doch einiges aussagt.
Offensichtlich wollte er mich nicht. Für einen jungen Spieler wie mich war das
schon hart. Mir fehlte das Verständnis, den anderen Spielern auch. Das war ein
Schnittpunkt in meinem Leben, wo es auch leicht in eine andere Richtung gehen
hätte können. Damals war ja noch nicht klar, wohin mich mein Weg führen wird.
Toni Polster empfahl Dich ja bei Trainer Ernst Dokupil. Lästige
Konkurrenz wollte er sich Deinen Ausführungen zufolge nicht vom Hals
schaffen.
Toni hat mich im Training gesehen und offensichtlich
bemerkt, dass ich auch ein Talent habe. Er wird auch gesehen haben, dass es
trotz meiner Einstellung in Köln kaum mehr weitergegangen wäre. Er hat mir dann
Rapid schmackhaft gemacht, mir erzählt, dass der SCR international spielt und
DER Traditionsverein in Österreich ist. Er hat mich gefragt, ob er mich seinem
Ex-Trainer vorschlagen solle, und so bin ich dann beim Probetraining in
Hütteldorf gelandet.
Konntest Du etwas von Toni Polster lernen?
Natürlich,
weil man sich überall, wo man spielt, etwas von erfahreneren Spielern abschaut
und mitnimmt. Das war bei Toni Polster so, aber auch bei Jürgen Klinsmann und
Lothar Matthäus in München. Ich wollte nie eine Kopie von irgendwem werden, aber
gewisse Dinge habe ich schon abgespeichert.
Wie war es zu Beginn in Wien? Die Medien brachten Dir ja anfangs eine
Riesenportion Skepsis entgegen.
Die Mannschaft war top und hat es
mir sehr leicht gemacht. Ich habe auch als Joker viele Chancen gehabt, weil wir
sehr offensiv ausgerichtet waren. Leider habe ich sehr viele dieser
Möglichkeiten versemmelt. Die Vorurteile der Medien habe ich aber nicht
persönlich genommen, weil die bei großen Spielern ja immer da sind und ich ja
auch nicht so getroffen habe, wie ich mir das selbst vorgestellt hätte. Ich habe
mir trotzdem keinen Kopf gemacht, weil ich gewusst habe, dass ich mit der Kugel
umgehen kann.
Mit Deinem ersten Tor gegen den GAK hast Du dann den Bann gebrochen,
gleich im nächsten Spiel in Tirol und gegen Sporting jeweils ein Tor nachgelegt.
Ab jetzt begann ein kleines Märchen, oder?
Es ist für uns alle sehr
gut gelaufen. Das Finale im Europacup der Pokalsieger und die Meisterschaft –
das waren schon tolle Erlebnisse, die nicht alltäglich sind.
Du hast in dieser Zeit viele wichtige Tore geschossen. Was war für
Dich persönlich das Highlight? Die Semifinal-Begegnung mit Feyenoord
Rotterdam?
Die erste Halbzeit zuhause gegen Feyenoord war schon
legendär! Aber das Liga-Finale gegen Sturm im ausverkauften Happel-Stadion mit
dieser genialen Konstellation, dass der Erste gegen den Zweiten spielt und beide
Teams den Titel holen können – das war schon etwas ganz Besonderes! Die Stimmung
war ein Traum, auch wegen der langen Durststrecke Rapids, der Fast-Insolvenz
undsoweiter. Es war mein erster Titel und extrem einprägsam! Diese beiden
Erlebnisse waren sicher die einschneidensten einer Super-Saison.
Konnte Dich der Meistertitel über das verlorene Europacup-Finale
hinwegtrösten?
Natürlich ist es angenehm, wenn man nach so einem
Ereignis doch noch einen Titel holt. Aber man steht nicht so oft in einem
internationalen Finale. Rapid ist wohl an der eigenen Zufriedenheit, das Finale
erreicht zu haben, gescheitert. Wir hätten den Bewerb nämlich gewinnen können,
wenn wir uns so präsentiert hätten, wie in den Spielen zuvor. Es hat aber nicht
sein sollen und war sicher eine Negativ-Erfahrung, die einen als Spieler auch
weiterbringt. Der Meistertitel war dann ein Trostpflaster, klein und groß
gleichzeitig.
Was war das Besondere an dieser Mannschaft?
Damals waren
die besten Spieler Österreichs bei Rapid versammelt. Die Legionäre waren eine
perfekte Ergänzung, und so hat das Ganze dann auch super funktioniert. Die Fans
haben registriert, dass wir immer nach vorne spielen wollten und uns nie hängen
haben lassen. Wir haben alle unsere Leistung gebracht, und das war das
Wichtigste.
Wie hast Du davon erfahren, dass die Bayern an Dir Interesse
haben?
Als ich eines Tages nachhause kam, da hatte mir Franz
Beckenbauer auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ich dachte, dass es sich um
einen Schmäh handeln würde und habe die Nachricht noch ein paar Mal abgehört.
Meine Frau und ich sind dann zu dem Ergebnis gekommen, dass es wirklich der
„Kaiser“ sein muss – wegen der unverkennbaren Stimme. Ich habe zurückgerufen und
wurde mit dem Interesse der Bayern konfrontiert. Ich habe gesagt: „Toll! Mein
Berater regelt solche Sachen.“ Dann haben wir nicht mehr viel miteinander
gesprochen, bis der Vertrag unterschriftsreif und alles andere abgeklärt war.
Mir ist der Abschied sehr schwer gefallen, auch wenn es „nur“ zehn Monate waren.
Die waren dafür umso intensiver – die sportlichen Erfolge und das Kennenlernen
meiner Frau (ehemalige Rapid-Sekretärin, Anm.) hatten schon eine große
Wertigkeit. Aber es war auch nicht irgendein Verein, der da nach mir gerufen
hat! Kleinere Schwierigkeiten gab es, weil ich von Rapid ja nur ausgeliehen war.
Aber zum Glück wurde alles geregelt und ich bin schlussendlich nach München
gegangen.
Wieviel haben die Münchener denn für Dich gezahlt?
Ich
glaube 1,5 Millionen D-Mark.
Bei den Bayern hast Du nach einem „Anlaufjahr“ alles gewonnen, was es
zu gewinnen gab. Trotzdem war der „Sekunden-Tod“ gegen Manchester United im
Champions League-Finale 1999 eine Deiner markantesten und berühmtesten
Auftritte, bei dem Du das Spiel beinahe mit einem spektakulären Fallrückzieher
an die Querlatte entschieden hättest. Haben sich die ManU-Spieler nach diesem
Spiel eigentlich korrekt verhalten?
Die Engländer waren absolut
korrekt, sehr sportlich – so, wie man sie halt kennt. Klar waren sie happy, weil
man die Champions League schließlich nicht jeden Tag gewinnt. Schon gar nicht
unter solchen Umständen! Viele Bayern-Spieler, auch ich, hatten beim angebotenen
Handshake noch gar nicht realisiert, was da eigentlich passiert ist. Wir sind
wie von Sinnen am Platz gelegen. Bei mir waren die Wunden sehr groß, und es hat
sicher drei bis vier Monate gedauert, bis sie wieder einigermaßen verheilt
waren. Das Realisieren hat schon sehr lange gebraucht und das Verarbeiten umso
länger. Ich wurde dann auch an den Leisten operiert. Lange Zeit war es so, dass
ich, wenn ich ins Bett gegangen bin, immer an den Fallrückzieher denken musste.
Andere konnten das einfacher abschalten, aber ich nicht. Beispielsweise habe ich
am Abend der Niederlage zwei Biere getrunken, bin auf das Zimmer und habe dort
den Teletext angemacht. Mir ist beim Anblick des Ergebnisses so schlecht
geworden, dass ich kotzen musste! Mich hat das schon sehr extrem getroffen, auch
weil es das zweite verlorene Finale war.
Trainer Hitzfeld hat das nie
wirklich angesprochen. In der kommenden Saison sind wir im Halbfinale gegen Real
Madrid rausgeflogen, und dann war es im Unterbewusstsein ganz klar, dass du nur
noch dieses eine Jahr, die Saison 2000/01 hast. Wir hatten 2001 ja fast den
gleichen Kader wie 1999, nur zwei, drei Spieler sind dazugekommen. Viele
Leistungsträger standen am oder auch schon über dem Zenit, wie unser Leitwolf
„Effe“ zum Beispiel. Zum Glück hat es dann gut gepasst, weil in der
darauffolgenden Saison wohl nix mehr gegangen wäre.
Die Bayern-Fans haben Dir eine eigene Bewunderungsseite im Internet
gestaltet. Dort steht zum Beispiel, dass Du sagst, was Du denkst. Uli Hoeneß ist
ja auch ein direkter Typ. Kam es zu verbalen Kollissionen?
Diese
Bewunderungsseite kenne ich gar nicht! Zu Reibereien kam es aber nicht, denn
immerhin war ich Angestellter und der Uli Hoeneß quasi mein Chef. Uli hat sein
Bekritteln damals nie an die Öffentlichkeit gebracht, und seine Kritik war auch
genauso positiv. Er hat getadelt UND gelobt! Das konnte er auch, weil er sehr
dicht an der Mannschaft dran war. Ohne ihn wären die Bayern sicher nicht dort
hingekommen, wo sie jetzt stehen.
Ich persönlich hatte im ersten und letzten
Jahr bei den Bayern meine Probleme, aber die vier Saisonen dazwischen waren ein
Wahnsinn! Wir hatten eine Super-Truppe, und das wird auch jeder bestätigen
können, der 2001 Teil dieser Mannschaft war. Das war kein großes Wunder, weil
wir ein gewachsenes, gut entwickeltes Team waren. Unter Giovanni Trapattoni
haben wir in meinen ersten zwei Bayern-Jahren soviel Technik-Training gemacht,
dass es irgendwann auch etwas bringen musste.
In Deiner Bayern-Glanzzeit muss es ja irgendwann ein Angebot für Dich
gegeben haben, oder?
Gab es auch.
Verratest Du von wem?
Ich hatte ein Angebot von meinem
Traumverein. 2001 war das.
Warum bist Du nicht nach Mailand gewechselt?
Uli Hoeneß
hat das verhindert. Und ich musste das akzeptieren, denn immerhin hatte ich
einen Vertrag. Ich konnte ja schwer sagen, dass ich nicht mehr bleiben wollte,
weil ich schließlich bei den Bayern war. Meinem Berater hat Uli Hoeneß gesagt,
dass er Deutschlands besten Stürmer nicht ziehen lassen wolle, und das war’s
dann auch schon. Im Nachhinein ist es natürlich ärgerlich, wie diese Sache
gelaufen ist. Die Anfrage des AC kam im Februar oder März 2001, zu einer Zeit
also, in der alle großen Klubs für die kommende Saison planen. Im Juni, Juli
hätte ich gehen können, aber zu diesem Zeitpunkt war das Angebot nicht mehr da.
In der nächsten Spielzeit lief es dann nicht mehr so gut. Alle Spieler waren
satt. Man hatte psychisch soviel investiert, und dann war man auf einmal
Champions League- und Weltpokal-Sieger. Klar, dass man dann die Zügel nach dem
Erreichen so großer Ziele etwas schleifen lässt.
(Ich zeige auf mein St. Pauli-Shirt) Warst Du bei der
Weltpokalsiegerbesieger-Partie am Millerntor dabei?
Ja. Das kleine
Pauli schlägt die großen Bayern, das war schon eine große Sache für die
Kiez-Kicker. Sowas passiert halt – es sind immer noch elf gegen elf!
Dann bist Du als Vize-Weltmeister nach Italien zu Udinese gewechselt
und Dein Aufwärtstrend wurde nach all den Erfolgen und den vielen Toren bei den
Bayern jäh gestoppt. Was waren die Gründe?
Eines vorweg: Ich bin
froh und stolz darauf, für Deutschland gespielt zu haben. Aber es hätten schon
mehr Spiele als die 33 Spiele sein können. Allerdings habe ich im Team nicht
immer die allerbesten Leistungen gezeigt.
In Udinese habe ich die ersten zehn
Spiele von Anfang an gespielt, und ich habe schlecht gespielt. Ich bin – das
muss man so sagen – mit der Art des Fußballs nicht so klargekommen. Danach war
ich wegen einer Schambein-Entzündung ein halbes Jahr lang verletzt, und dann war
es für mich sehr schwer, wieder in die Startelf reinzukommen. In der zweiten
Saison lief es auch nicht besser, weil ich wieder schlecht gespielt habe. Es
ging einfach nicht weiter.
Bei Deiner Rückkehr nach Deutschland zu Kaiserslautern fing aber
alles sehr vielversprechend an, endete dann aber eher unbefriedigend. Kannst Du
von dieser Zeit berichten?
Das erste Jahr war zufriedenstellend,
dafür, dass ich anderthalb Jahre nicht gespielt hatte. Wir haben den
Liga-Verbleib relativ früh sichergestellt und meine persönlichen Leistungen
waren auch durchschnittlich bis gut. Der Kurt Jara ist dann gegangen und Michael
Henke ist gekommen, unter dem es nicht mehr so gut lief. Auch ich konnte nicht
mehr an vergangene Leistungen anschließen, egal ob die beim FCK oder Glanzzeiten
von viel früher. Im November ist dann Henke beurlaubt worden und Wolfgang Wolf
wurde unser neuer Trainer. Ich war gerade wegen einem Knorpelschaden verletzt.
Als ich im Jänner wieder fit war und ein paar Wochen mittrainiert hatte, kam ich
trotzdem nicht in den Kader für das nächste Ligaspiel. Ich hatte dann ein
Gespräch mit dem Trainer und er teilte mir mit, dass er nicht mehr mit mir
plane. Das war eine klare Aussage, mit der ich leben musste. Wolf war auch nicht
mein Fall. Würde ich ihn jetzt sehen, dann würde ich ihn nicht mehr grüßen. Bei
Kurt Jara ist das anders. Im Zuge der Euro haben wir uns gesehen und uns sehr
über dieses überraschende Treffen gefreut.
Dann kam der Wechsel nach China zu Shanghai Shenhua. Was waren die
Beweggründe für den Gang nach Asien? Flucht, Geld, Interesse an einer neuen
Kultur?
Es war sicher keine Flucht! Das Angebot war aber sehr gut.
Wie war es dort?
Ziemlich anstrengend. Ich hatte ein
eigenes Haus in der Nähe des Trainings-Geländes, weil ich nicht zu weit hin- und
herfahren wollte. Der Trainer konnte zu meinem Glück Deutsch, weil er in Köln
studiert hatte. Ein Mitspieler konnte auch Deutsch. Und Englisch war auch eine
Kommunikations-Möglichkeit. Wenn das nicht so gewesen wäre, dann wäre ich sicher
noch früher gegangen.
Wie steht die österreichische Liga im Vergleich zur chinesischen da –
sportlich, finanziell und vom Publikums-Interesse her?
Das kann man
nicht vergleichen. Im Endeffekt war es so, dass es gemessen an der Population
und der Fußball-Verrücktheit nicht so wahnsinnig toll war. In Shanghai hatten
wir ein 20.000er-Stadion, das immer sehr gut besucht war, aber auswärts haben
wir dann oft vor 5.000 bis 10.000 Menschen gespielt. Von der Realtion her war es
also eher enttäuschend. Ansonsten kann ich China und Österreich aber nicht
vergleichen.
Nach einem halben Jahr und keinem Tor kam dann der Wechsel nach
Mattersburg zustande. Warum? Wieso? Weshalb? Hat Dein Ex-Kollege Didi Kühbauer
diesen „Sensations-Transfer“ eingefädelt?
Nachdem ich meinen Vertrag
in China, wo ich Mitte der Saison hinwechselte und bis zum Ende der Spielzeit im
Oktober spielte, erfüllt hatte, kam ich nach Österreich. Meine Frau und die
beiden Kinder haben zu diesem Zeitpunkt schon hier gelebt. Es gab dann zahllose
Gespräche, aber ein Wechsel zu Rapid stand nicht zur Debatte. Als dann
Mattersburg kam, dachte ich mir: „Warum nicht?!“ Der ausschlaggebende Grund war
aber nicht Didi, sondern dass ich noch einmal in einer ersten Liga spielen
konnte.
Gegen Rapid hast Du mit der Ferse einen Last Minute-Siegestreffer
erzielt. Gab’s böse Reaktionen der Rapid-Fans oder bist Du ihnen dafür einfach
zu „heilig“?
Ich habe aus Respekt vor den Fans nie gejubelt, wenn
ich gegen Rapid getroffen habe. Die ganz jungen Anhänger, die mir den
Stinkefinger gezeigt haben, hatten ja keine Verbindung zu mir als Rapid-Spieler.
Aber abgesehen von diesen unerheblichen Ausrutschern war alles sehr korrekt.
Andy Marek hat mir sogar gesagt, dass es die Ultras gut fanden, dass ich nach
meinen zwei Toren gegen Rapid nicht gejubelt habe.
Dein Abschied aus Mattersburg war eine unfeine Sache. Von wem ging
der Impuls aus, Dich vorzeitig aus Deinem Vertrag zu entlassen?
Ich
bin vertraglich noch immer an Mattersburg gebunden. Den Rest musst Du Dir selbst
zusammenreimen. Es gibt da aber nur einen Mann, der etwas zu sagen hat... Mir
wurde mitgeteilt, dass ich zu alt bin.
Ich will Dich nicht zum Schimpfen überreden. Aber kannst Du mir und
den LeserInnen von Forza Rapid den Wahnsinn des Ilco Naumoski
erklären?
Nein, kein Kommentar.
Eine Deiner Lieblingssportarten ist Beachvolleyball – perfekte
Bedingungen hier in Neusiedl. Wie bist Du sonst zufrieden mit Österreich, der
Landschaft und den Menschen? Gibt es Probleme mit der
Mentalität?
Schon in Wien habe ich mich immer sehr wohl gefühlt. Als
ich mit meiner Familie bei den Bayern war, haben wir uns gar nicht vorstellen
können, wieder nach Österreich zu gehen und wollten in München bleiben. Aber
irgendwann später habe ich meine Frau gefragt, wo sie leben möchte, und
Österreich und Neusiedl kamen ins Spiel. Man hat uns hier sehr gut aufgenommen
und wir fühlen uns auch sehr wohl. Für die Kinder ist es auch perfekt. Es ist,
glaube ich, das letzte Mal, dass ich ein Haus gebaut habe.
Deine beiden Töchter haben Namen wie dahingemalt – Laura-Larissa und
Naomi-Noelle. Was haben Deine beiden Töchter in Deinem Leben
verändert?
Sichtweisen auf jeden Fall! Bis zur Geburt meiner ersten
Tochter stand Fußball immer an erster Stelle, aber das hat sich dann automatisch
geändert. Das ist wohl für jeden Mann ein einschneidendes Erlebnis, wenn er bei
der Geburt seines Kindes live mit dabei ist!
Welche Freunde sind aus Deiner Fußballer-Karriere
übriggeblieben?
Es ist ein so schnelllebiges Geschäft. Nach einem
Wechsel bleibt der Kontakt oft noch erhalten, aber dann wird er rapide weniger.
Oft freut man sich, sich wiederzusehen. Großen Kontakt zu ehemaligen Kollegen
gibt es aber nicht.
Strebst Du eine Karriere als Trainer an?
2011 werde ich
die A-Lizenz in der Tasche haben. In den nächsten drei bis sechs Jahren kann ich
mir aber nicht vorstellen, im Ausland Erstliga-Trainer zu werden. In Österreich,
in der Nähe von Neusiedl wäre es keine Frage! Ansonsten will ich nicht mehr
reisen, die Kinder nicht aus Neusiedl herausreißen. Aber den Schein mache ich
sicher nicht zum Spaß! Jetzt bei Rapid in der Akademie anzufangen ist sicher
gut, um in dieses Geschäft reinzufinden und weil die Qualität der Spieler sehr
gut ist. Wenn es Spaß macht, wovon ich wegen meiner Erfahrungen als
Individualtrainer für die Stürmer und als U14-Trainer hier in Neusiedl ausgehe,
dann wäre es schon ein Riesenziel, irgendwann auch eine Kampfmannschaft in einer
guten Liga zu trainieren.
Was ist Deine Meinung zu Nikica Jelavic?
Er ist der
Top-Angreifer Rapids. Nikica gibt nie auf, hört nie auf, weiterzumarschieren.
Wenn er eine Chance vergeben hat, dann macht er weiter, bis er wieder welche
vorfindet.
Gartler, Trimmel, Konrad, Salihi – wer ist für Dich persönlich die
Nummer 2 im Rapid-Angriff?
Ich denke, dass Gartler und Trimmel zwei
sehr interessante, junge Spieler sind. Sie müssen und sie werden auch zu ihrer
Spielpraxis kommen, weil sie sich nur so weiterentwickeln können.
Ein talentierter Bub will Fußballer werden – was empfiehlst Du
ihm?
Dass er, wenn es nicht weitergeht, trotzdem weitermacht. Immer
Spaß haben und niemals aufstecken, egal wo – das ist das Geheimnis.
Interview vom 07.05.2010
10 Fragen zum besseren
Kennenlernen:
Lieblings-Elf aller Zeiten?
Die Rapid-Mannschaft
von 1995/96 und die Bayern-Mannschaft von 2000/01.
Das beeindruckendste Stadion, in dem Du je gespielt
hast?
Das Bernabeu und das Nou Camp.
Deine größte Niederlage am Fußball-Platz?
Das Champions
League-Finale 1999.
Rapid ist...
...der Anfang von allem gewesen! Hier hat
für mich karrieretechnisch alles begonnen. Außerdem ist Rapid Legende und DER
Verein in Österreich.
Kottan oder Columbo?
Columbo... weil Kottan kenne ich
nicht.
Dein liebster Platz außerhalb von Österreich?
Malediven.
Wovor hast Du Angst?
Zecken.
Eine Marotte?
Während meiner Karriere als Aktiver musste
der rechte Schuh immer zuerst angezogen werden.
Welches Talent hättest Du gerne, hast es aber nicht?
Ich
würde gerne viele Sprachen verstehen und sprechen können.
Der härteste Verteidiger, gegen den Du je gespielt
hast?
Jaap Stam war schon sehr hart, aber auch fair.
Quelle: www.forza-rapid.at